Die Grundlagen einer liberalen Gesundheitspolitik

Digitalisierung, Dezentralisierung und Mobilisierung

Präambel

Jeder Deutsche hat das Recht auf eine gute, umfassende und dem anerkannten Stand der Wissenschaft folgende medizinische Behandlung. Dieses Recht ist nicht vom Bundesland oder Wohnort der Patienten abhängig. Trotzdem können in Sachsen-Anhalt viele Probleme ausgemacht werden, die in der Folge zu einer schlechteren Behandlung von Patienten im ländlichen Raum führen. Dazu zählen lange Anfahrtswege zum nächsten Krankenhaus, Krankenhausschließungen, Innovationsstaus, Ärztemangel sowie der Pflegenotstand.
Um diesen Notstand zu beheben, müssen neue und mutige Schritte in Richtung Digitalisierung und Dezentralisierung gegangen werden.

 

§1 Digitalisierung

 

Die Digitalisierung schreitet immer weiter voran und durchdringt mehr und mehr Lebensbereiche der Menschen. Dies gilt auch für die medizinische Versorgung.  Hier fordern die Jungen Liberalen Sachsen-Anhalt eine Digitaloffensive. Gesetzliche Regulationen müssen sich auf den Bereich der konkreten Patientenbehandlung beschränken – rein privat genutzte Soft- oder Hardware (etwa Apps oder Gesundheitsarmbändern) sollen weiterhin von jedem nach eigenem Ermessen ohne Einschränkungen genutzt und dort erhobene Daten im Rahmen der bestehenden Datenschutzbestimmungen an Hersteller weitergegeben werden dürfen. Für den Bereich der Patientenbehandlung fordern wir folgende Punkte umfassen:

 

Schaffung von Rechtssicherheit

a) Für den behandelnden Arzt

Medizinrechtlich muss gemäß §630 Abs. 2 BGB jede Behandlung grundsätzlich dem Facharztstandard entsprechen. Diese Regelung ist in der telemedizinischen Behandlungspraxis nicht immer einzuhalten. In der Folge kann es zu Haftungsrisiken für den Arzt kommen. Um diese auszuschließen, muss ein gesonderter „Digital-Facharztstandard“ entwickelt werden, der dieselbe Behandlungsqualität und -sicherheit wie der reguläre Facharztstandard aufweist, allerdings auf anderem Wege zustande gekommen ist.

Dazu zählt:

  • Ärzte, die telemedizinische Leistungen erbringen möchten, müssen hierzu eine Weiterbildung absolvieren.
  • Patienten müssen über die Anforderungen telemedizinischer Behandlungen aufgeklärt werden („Informed Consent“). Bei umfassenden, auf längere Zeit angelegten Behandlungen müssen die Patienten zu Beginn der Behandlung von dem behandelnden Arzt oder einer dafür geschulten Person über die richtige Verwendung der benötigten Hard- und Software aufgeklärt und ggf. geschult werden (soweit der Patient Einfluss auf diese ausüben kann).
  • Die Jungen Liberalen Sachsen-Anhalt begrüßen die Entwicklung eigener Leitlinien zur Telemedizin. Hier sind zügig weitere telemedizinische Leitlinien mit dem Schwerpunkt ländliche Versorgung – unter Mitwirkung zentraler Ethikkommissionen – zu erarbeiten.

 

b) Für den Patienten

Die Patienten können enorm von telemedizinischen Leistungen profitieren. Im Besonderen für Menschen in ländlichen Regionen kann Telemedizin zudem einen großen Gewinn an Lebensqualität mit sich bringen. Wichtig ist jedoch für jeden Einzelnen, dass Klarheit über seine Rechte und Pflichten und über die Datensicherheit besteht.

Dazu zählt für die Patienten:

  • Die Mitwirkungspflichten des Patienten müssen klar kommuniziert werden. Kommt der Patient diesen nicht nach, muss dies einen Abbruch der Behandlung zur Folge haben.
  • Telemedizinische Software/Hardware muss (sofern sie noch nicht dem MPG unterfallen) – vergleichbar einem Medizinprodukt – definierten und staatlich geprüften Kriterien entsprechen. Nur dann darf sie am Patienten zum Einsatz kommen. 
  • Telemedizinisch gewonnene Daten dürfen von den Krankenkassen oder Unternehmen grundsätzlich nicht zugänglich gemacht werden, es sei denn, der gesundheitliche Schutz des Patienten oder die Abwehr von gefahren für die bevölkerung machen dies erforderlich. Gesammelte Daten müssen so weit wie möglich anonymisiert werden.

Bereitstellung der technischen Voraussetzungen

  • Die Voraussetzung einer patientenzentrierten telemedizinischen Behandlung und Versorgung ist eine schnelle und zuverlässige Internetverbindung. Gerade auf dem Land gibt es hier noch große Defizite, die durch einen beschleunigten Netzausbau abzustellen sind.
  • Mittelfristig ist unser Ziel, dass alle medizinischen Daten, die im Laufe der Diagnostik, der Patientenbehandlung und -compliance erhoben werden, für dem behandelnden Arzt durch eine einheitlichen medizinischen Kommunikationsstandard für medizinische Daten leitliniengerecht aufbereitet werden.
  • Krankenhäuser sind zu „smart hospitals“ (digital voll vernetze Krankenhäuser) weiterzuentwickeln und auszubauen. Wichtig ist dabei, dass die dafür nötigen Investitionskosten vom Bund getragen werden – die duale Finanzierung ist hier durch einen „Innovationsfond Smart Hospitals“ zu ergänzen.
§2 Dezentralisierung


Um die Versorgung im ländlichen Raum weiter zu verbessern, ist es neben der digitalen Vernetzung wichtig, für alle Patienten weiterhin den physischen Zugang zum Gesundheitswesen – auch in der unmittelbaren Wohnumgebung – aufrechtzuerhalten bzw. dort, wo er bereits nicht mehr vorhanden ist, wiederaufzubauen.

Dieses Ziel kann aber nicht dadurch erreicht werden, eine flächendeckende stationäre Versorgungsstruktur aufzubauen. Die geringen Patientenzahlen würden in diesen Einrichtungen dazu führen, dass die Behandlungsqualität abnimmt und gleichzeitig die relativen Kosten steigen. Weder aus Patienten- noch aus Kostensicht wäre daher ein Ausbau des stationären Sektors sinnvoll. Viel eher wollen wir die Versorgungslandschaft weiter dezentralisieren. Konkret fordern wir:

  • Ausbau des Konzepts der „Gemeindeschwester“. Hierbei handelt es sich um eine Pflegefachkraft, die eine Zusatzqualifikation zur „Gemeindeschwester“ erworben hat. Ihr wird ein Gebiet zugewiesen, indem sie Patientenbesuche abstattet und grundlegende medizinische Leistungen – auch ohne Beisein eines Arztes – erbringen darf. Zudem soll sie befähigt werden, selbstständig Überweisungen an Fachärzte auszustellen.
  • Grundsätzlich unterstützen wir den Abbau überschüssiger Bettenkapazitäten in Sachsen-Anhalt auch unter Inkaufnahme der Schließung weiterer kleinerer Krankenhäuser. Trotzdem muss weiterhin gelten, dass jeder Patient im Notfall einen möglichst schnellen Zugang zu intensivmedizinischen Behandlungsangeboten hat. Die Notfallversorgung ist aktuell immer an Krankenhäuser angeschlossen. Diese Einheit ist aufzubrechen. Daher fordern wir die Einrichtung von dezentralen Rettungsstationen nach dem amerikanischen System der „Emergency rooms“. Es handelt sich dabei um eine aus einem Krankenhaus ausgegliederte erweiterte Notaufnahme, die in einem dünn besiedelten Gebiet eingerichtet wird. Hier soll eine erste Triage der Patienten stattfinden und je nach Dringlichkeit eine Überführung in das stationäre oder ambulante Versorgungssystem. Zudem kann hier eine erste Notfallversorgung stattfinden. Schwerste Notfälle sollen weiterhin direkt in eines der Maximalversorgenden Krankenhäuser gelangen. Langfristig sollte die Notfallversorgung zu einem intermediären Sektor zwischen ambulanter und stationärer Versorgung weiterentwickelt werden. Dies muss sich auch in einer gesonderten und ggf. weniger fallzahlabhängigen Finanzierung widerspiegeln.
  • Wir streben den Aufbau einer mobilen Versorgung an. Dabei handelt es sich um (Fach-)Arztpraxen in LKWs, Busse oder Anhängern, mit denen Ärzte über das Land fahren und medizinische Leistungen erbringen.
  • Die Ausstattung dieser Gefährte darf in Qualität und Umfang der einer regulären Arztpraxis nicht untergeordnet sein. Die Fahrpläne dieser mobilen Einheiten müssen durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt geplant und kommuniziert werden. Für die Ärzte, die sich dafür entscheiden, in mobilen Praxen zu behandeln, soll ein eigener Vergütungsschlüssel entwickelt werden, der deren Kosten für die Praxis, die Fahrkosten und den Unterhalt berücksichtigt.
  • Ärzte, die bereits eine eigene Praxis besitzen, sollen die Möglichkeit bekommen, parallel eine mobile Praxis zu betreiben. Sie bekommen dadurch die Möglichkeit, auf dem Lande an ausgewählten Tagen/Wochen medizinische Versorgung anzubieten, ohne selbst auf dem Lande leben oder praktizieren zu müssen.

 

Vernetzt denken!

Digitalisierung und Dezentralisierung sind nicht als zwei getrennte Säulen, sondern als Einheit zu verstehen. Das bedeutet, dass alle neuen Versorgungsstrukturen von Beginn an telemedizinisch zu integrieren sind.

 

§3 Mobilisierung


Neben Dezentralisierung und Digitalisierung bedarf es auch einer Stärkung der Mobilität der Ärzte und Patienten. Dazu benötigt es ein Bündel verschiedenster Maßnahmen, die über die eigentliche Gesundheitspolitik hinausgehen:

  • Ländliche Regionen sind für junge Menschen häufig deshalb unattraktiv, weil dort kaum soziale Infrastruktur und eine nur ungenügende Anbindung an städtische Zentren vorhanden sind. Daher gilt es ländliche Regionen durch gezielte Investitionen im Bereich des Straßenausbaus, der Kinderbetreuung und des Ausbaus des ÖPNVs zu fördern.
  • Das Rotationsmodell soll bei Bedarf stärker gefördert werden. Hier werden in benachbarten Ortschaften/Landkreisen/Regionen Multifunktionspraxen eingerichtet, die für unterschiedliche fachärztliche Behandlungen geeignet sind. Diese können dann von unterschiedlichen in der Region ansässigen Fachärzten in beispielsweise wöchentlicher Rotation genutzt werden und erzielen so die Abdeckung eines deutlich größeren Gebietes.
  • Landarztstipendien sind ein wichtiger Baustein, um die zukünftige medizinische Versorgung auf dem Lande sicherzustellen. Daher sind betreffende Programme zu evauluieren und ggf. auszubauen.
  • Über die KVen soll verstärkt ein Monitoring der Ärzte und Patienten stattfinden. Im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung und Dezentralisierung ist es wichtig, dass der Patient über eine zentrale Stelle, sich schnell und unbürokratisch darüber informieren kann, welche Ärzte, welches Fachgebietes, sich wann und wo in seiner Gegend aufhalten.